- Wettbewerbspolitik
- von Professor Dr. Ingo SchmidtI. Charakterisierung1. Begriff und EinordnungWettbewerbspolitik ist ein wesentlicher Teil der Ordnungspolitik, mit welcher die Rahmenbedingungen für das Marktverhalten der Wirtschaftssubjekte (so genannte Marktverfassung) gesetzt werden. Die Wettbewerbspolitik umfasst alle staatlichen Maßnahmen, die der Aufrechterhaltung des ⇡ Wettbewerbs dienen. Dies geschieht einmal durch eine aktive Gestaltung der Wettbewerbsvoraussetzungen, indem die Märkte offen gehalten und Marktschranken beseitigt werden, zum anderen durch eine defensive Bekämpfung der verschiedenen wettbewerbsbeschränkenden Strategien.2. Begründung der WettbewerbspolitikSchon Smith hat klar gesehen, dass der von dem Erfolgs- und Gewinnstreben der Wirtschaftssubjekte ausgehende anonyme Wettbewerbsdruck, der zu einer tendenziellen Realisierung der vorgegebenen wettbewerbspolitischen Zielfunktionen führt, durch Versuche der Wirtschaftssubjekte gefährdet ist, sich dem Wettbewerbsrisiko durch wettbewerbsbeeinträchtigende Strategien zu entziehen. Insofern tendiert ein Wirtschaftssystem, in welchem den Wirtschaftssubjekten die Entscheidung über die Wettbewerbspraktiken überlassen bleibt, zur Selbstzerstörung. Daher muss die Dispositionsfreiheit der Unternehmen durch staatliche Rahmenbedingungen eingegrenzt und gegen Missbrauch gesichert werden. Die Schaffung bzw. Erhaltung eines institutionellen Ordnungsrahmens soll das freie Spiel der Kräfte möglichst wenig stören und die Beachtung der Spielregeln für den Wettbewerb durch die Wirtschaftssubjekte gewährleisten.3. EntwicklungWettbewerbspolitik in dem beschriebenen Sinn existiert in Deutschland erst seit dem Inkrafttreten des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (1958). Die Zeit davor war durch ein ausgeprägtes Laissez-faire geprägt, nachdem das Reichgericht im Jahre 1897 im Fall des Sächsischen Holzstoff-Fabrikanten-Verbandes entschieden hatte, dass die Kartellbildung im Rahmen der Vertragsfreiheit allgemein zulässig sei. Nach Auffassung des Reichgerichtes richtete sich das Recht auf Gewerbefreiheit nur gegen den Staat, nicht jedoch auch gegen wirtschaftliche Machtbildung.II. Aufgaben und ZieleDie Wettbewerbspolitik soll sowohl die Handlungs- und Entschließungsfreiheit der Marktbeteiligten (so genannter Individualschutz) als auch den Wettbewerb als anonymen Kontroll- und Steuerungsmechanismus im Interesse der Realisierung der vorgegebenen ökonomischen ⇡ Wettbewerbsfunktionen (so genannter Institutionsschutz) sichern. Der Schutz der Handlungsfreiheit der Marktbeteiligten wird dabei als Bestandteil der allgemeinen Handlungsfreiheit im Sinn von Art. 2 GG angesehen.Strittig ist, ob zwischen den beiden Zielen des Individual- und Institutionsschutzes Zielkonflikte auftreten können oder nicht. Die überwiegende Meinung bejaht die Möglichkeit derartiger Zielkonflikte, so dass im konkreten Fall der Versuch einer Abwägung dieser konkurrierenden Zielsetzungen unternommen werden muss.III. Träger der Wettbewerbspolitik und Verfahren1. Träger der WettbewerbspolitikTräger ist der Staat. In der Bundesrepublik Deutschland ist das Bundeskartellamt in Bonn für nationale wettbewerbsbeschränkende Strategien zuständig, während für rein regionale Wettbewerbsbeschränkungen die Zuständigkeit bei den Landeskartellbehörden (bei den Wirtschaftsministerien der Länder) liegt. Für den Fall sog. Ministerkartelle im Sinn von § 8 GWB und Ministerfusionen im Sinn von § 42 GWB ist die Zuständigkeit des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit (BMWA) in Berlin gegeben. In der Europäischen Union (⇡ EU) ist Träger der Wettbewerbspolitik die Europäische Kommission in Brüssel (Generaldirektion IV).2. VerfahrenDie Entscheidungen der deutschen und europäischen Kartellbehörden unterliegen einer gerichtlichen Kontrolle. Dafür sind in der Bundesrepublik Deutschland die Oberlandesgerichte und der Bundesgerichtshof zuständig, in der Europäischen Union das Europäische Gericht Erster Instanz (EuG) und der Europäische Gerichtshof (⇡ EuGH) in Luxemburg.- Vgl. auch ⇡ Europäisches Kartellrecht, ⇡ Deutsches Kartellrecht.IV. Instrumente der WettbewerbspolitikNach den Ursachen der Wettbewerbsbeschränkung können drei Strategien unterschieden werden, das sind die Verhandlungs-, Behinderungs- und Konzentrationsstrategie (vgl. Abbildung „Wettbewerbspolitik – Wettbewerbsbeeinträchtigende Strategien“).Die Wettbewerbspolitik steht vor der Aufgabe, horizontale und vertikale Absprachen (Kartelle im weiteren Sinn), die Behinderung dritter Unternehmen sowie die ⇡ Unternehmenskonzentration zu kontrollieren. Je nach dem Grad der Gefährdung des Wettbewerbs und dem wettbewerbspolitischen Vorverständnis können die verschiedenen wettbewerbsbeschränkenden Strategien auf unterschiedliche Art und Weise kontrolliert werden. Dabei lassen sich verschiedene mögliche Kontrollansätze in Form von Dichotomien darstellen:– Per-se-Rule versus Rule of Reason (d.h. das Verbot bestimmter als besonders gefährlich angesehener Formen der Wettbewerbsbeschränkung ohne genauere ökonomische Untersuchung oder eingehende Abwägung des ökonomischen Pro und Kontra im Einzelfall);– Ex-Ante- versus Ex-Post-Kontrolle;– Verteilung der Beweislast (bei den Kartellbehörden oder den Unternehmen).Diese Kontrollprinzipien lassen sich begrenzt miteinander kombinieren und führen bei der rechtlichen Erfassung wettbewerbsbeschränkender Strategien zu unterschiedlichen Ausgestaltungen.V. Kontrolle wettbewerbsbeschränkender Strategien1. VerhandlungsstrategieUnter Verhandlungsstrategie im weiteren Sinn sind alle Formen der Zusammenarbeit rechtlich selbstständig bleibender Unternehmen zu verstehen, die die wettbewerbsrelevante Handlungs- und Entschließungsfreiheit in Bezug auf einen oder mehrere Aktionsparameter einschränken und auf Vereinbarung, Beschluss oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen beruhen.Die Erfassung der Verhandlungsstrategie findet ihre Berechtigung darin, dass einerseits durch Absprachen im weiteren Sinn die Marktergebnisse direkt bzw. durch eine Verminderung der Zahl der wettbewerbspolitischen Entscheidungsträger indirekt mehr oder minder stark beeinträchtigt werden können. Kartelle können z.B. den wettbewerbspolitischen Zielkatalog dadurch beeinträchtigen, dass der Monopolisierungsgrad als eine wesentliche Größe der Einkommensverteilung erhöht wird oder der Grundsatz einer optimalen Faktorallokation verletzt wird, wenn das Kartell zu einer Kosten- und Preiserhöhung führt. Andererseits kann die Zusammenarbeit besonders von kleinen und mittleren Unternehmen unter bestimmten Umständen auch eine neutrale oder positive Auswirkung auf den Wettbewerb haben, wenn die materiale Entschließungsfreiheit kleiner und mittlerer Unternehmen gegenüber Großunternehmen gefördert und der Wettbewerb nicht wesentlich beeinträchtigt wird.Dieser Grundgedanke der zwischenbetrieblichen Kooperation liegt den Freistellungsmöglichkeiten des § 4 GWB zugrunde. Eine Sonderform der Kooperation sind die so genannten strategischen Allianzen multinationaler Unternehmen, die der Stärkung oder Absicherung der Wettbewerbsposition dieser Unternehmen dienen, jedoch die Suche nach unterschiedlichen Problemlösungen im Wettbewerb und damit letztendlich den Produktwettbewerb beschränken. Strategische Allianzen können auch in Form von Gemeinschaftsunternehmen auftreten.2. BehinderungsstrategieUnter Behinderungsstrategie im weiteren Sinn sind alle Verhaltensweisen von Einzelunternehmen oder Unternehmensgruppen zu verstehen, die dazu geeignet sind, tatsächliche oder potenzielle Mitwettbewerber (horizontal) sowie Lieferanten oder Abnehmer (vertikal) in ihrer formalen Handlungs- und/oder Entschließungsfreiheit in Bezug auf einen oder mehrere Aktionsparameter rechtlich oder faktisch zu beschränken und/oder die Wirksamkeit des Wettbewerbsmechanismus zu beeinträchtigen.Bei dem Schutz der Handlungsfreiheit der Wirtschaftssubjekte als einem Ziel der W. muss zwischen den zwei Grundtypen einer formalen (Handlungs-) und einer materialen (Entschließungs-)Freiheit unterschieden werden. Formale Freiheit stellt die Gleichheit vor dem Gesetz und den Schutz vor staatlicher Willkür dar. Materiale Freiheit umfasst dagegen die Möglichkeit, im Rahmen formaler Freiheit und sozialer Normen selbst gesetzte Ziele zu verfolgen. Materiale Freiheit entspricht damit ökonomischer Macht; denn nur wer Macht hat, kann die Möglichkeiten, die sich aus der formalen Freiheit ergeben, auch nutzen.Bedeutung: Diese Unterscheidung von formaler Handlungs- und materialer Entschließungsfreiheit ist für eine adäquate Erfassung wirtschaftlicher ⇡ Macht von großer Bedeutung, da eine solche Differenzierung in vielen Fällen überhaupt erst eine wettbewerbspolitische Beurteilung von Tatbeständen des Behinderungswettbewerbs oder der ⇡ Unternehmenskonzentration ermöglicht. Ihr entspricht wettbewerbsrechtlich der Schutz der Handlungsfreiheit vor vertraglichen Beschränkungen (z.B. durch die vertikale Preisbindung der zweiten Hand für Verlagserzeugnisse) oder der Schutz der Entschließungsfreiheit vor Diskriminierungen (z.B. durch Lieferverweigerung zur vertikalen Preisbeeinflussung).Die wettbewerbspolitische Notwendigkeit und Berechtigung einer Analyse von Tatbeständen des Behinderungswettbewerbs ergibt sich aus den Versuchen der Wirtschaftssubjekte, den Wettbewerbsdruck durch verschiedene Formen der Behinderungsstrategie zu mindern, indem dominierende Marktstellungen einzelner Unternehmen oder von solidarisch handelnden Unternehmensgruppen (so genannten engen Oligopolen) aufgebaut bzw. zementiert werden. Die Möglichkeiten, den Wettbewerb durch Behinderungsstrategien im weiteren Sinn zu beschränken, sind sehr zahlreich; als Haupttypen sind ⇡ Boykott und Lieferverweigerung, Preisdiskriminierung sowie Ausschließlichkeits- und Kopplungsbindungen zu nennen. Bei der Kontrolle dieser Behinderungsstrategien im Rahmen der staatlichen Missbrauchsaufsicht wirft die Abgrenzung von Behinderungspraktiken und erwünschtem Marktverhalten dynamischer Unternehmen große Schwierigkeiten auf, die oft einer wettbewerbspolitischen Gratwanderung nahe kommen.3. KonzentrationsstrategieDie wettbewerbspolitische Notwendigkeit und Berechtigung einer Analyse des externen Unternehmenswachstums ergibt sich daraus, dass der Wettbewerbsdruck, dem die Wirtschaftssubjekte ausgesetzt sind und der zu einer tendenziellen Realisierung der vorgegebenen wettbewerbspolitischen Zielfunktionen führt, durch eine zunehmende ⇡ Konzentration beeinträchtigt werden kann. Dabei sind drei Hauptformen des externen Unternehmenswachstums zu unterscheiden.Unter horizontalen Zusammenschlüssen sind solche Zusammenschlüsse zu verstehen, die zwischen vormals selbstständigen Wirtschaftssubjekten, die auf dem gleichen sachlich und räumlich ⇡ relevanten Markt tätig sind, stattfinden (z.B. die Fusion von zwei Automobilherstellern). Mit zunehmendem Marktanteil wächst ceteris paribus die Gefahr einer Beschränkung des Wettbewerbs durch das Entstehen von dominierenden Marktstellungen einzelner Unternehmen bzw. einer kollektiv handelnden Unternehmensgruppe.Unter vertikalen Zusammenschlüssen sind Zusammenschlüsse vormals selbstständiger Wirtschaftssubjekte zu verstehen, die auf verschiedenen Wirtschaftsstufen tätig sind und in einer Käufer-Verkäuferbeziehung stehen (z.B. ein Automobilunternehmen gliedert sich ein Stahlwerk als Zulieferer oder ein großes Autohaus als Vertrieb ein). Derartige Zusammenschlüsse dienen der Sicherung von Bezugs- und Absatzwegen und werfen Probleme im Hinblick auf den Marktzutritt vertikal nicht integrierter Konkurrenten auf. Die marktstabilisierende Wirkung einer vertikalen Integration (⇡ Unternehmenskonzentration) ist umso größer, je stärker die Marktposition des integrierten Unternehmens auf zumindest einer Wirtschaftsstufe und/oder je verbreiteter eine derartige Integration überhaupt ist.Diagonale oder konglomerate Zusammenschlüsse können negativ definiert werden als Zusammenschlüsse vormals selbstständiger Wirtschaftseinheiten, die weder auf dem gleichen relevanten Markt (horizontal) tätig sind noch in einem Käufer-Verkäufer-Verhältnis (vertikal) stehen (z.B. ein Automobilhersteller kauft einen Computer- oder Flugzeughersteller).Die Zahl der selbstständigen Entscheidungsträger im Wettbewerb kann nicht nur durch externes Unternehmenswachstum, sondern auch durch überproportionales internes Unternehmenswachstum vermindert werden, da die im Wachstum zurückbleibenden Unternehmen keinen wirksamen Wettbewerbsfaktor mehr darstellen. Die Gefahren eines überproportionalen Wachstums für die Konzentration sind allerdings vergleichsweise gering, da dem internen Wachstum zwar nicht in der absoluten Höhe, aber in der Geschwindigkeit enge Grenzen gesetzt sind.4. Kontrollregelungen im deutschen und europäischen KartellrechtDas Deutsche und das Europäische Kartellrecht kennen in § 19 GWB bzw. Art. 82 EGV lediglich eine Missbrauchsaufsicht über – u.a. durch überproportionales Wachstum entstandene – marktbeherrschende Unternehmen, wonach derartigen Unternehmen ein Behinderungs- oder ⇡ Ausbeutungsmissbrauch untersagt werden kann (⇡ Deutsches Kartellrecht).VI. Zielkonflikte zwischen Wettbewerb und EffizienzsteigerungIm wettbewerbstheoretischen Beitrag ist dargelegt worden (⇡ Wettbewerbstheorie), dass im Regelfall von der Überlegenheit des Marktmechanismus sowohl im Hinblick auf Effizienzsteigerungen als auch auf die Realisierung des ⇡ technischen Fortschritts und der ⇡ internationalen Wettbewerbsfähigkeit auszugehen ist; wenn im konkreten Einzelfall ein Zielkonflikt seitens der Unternehmen geltend gemacht wird, obliegt diesen die Beweislast für das Vorliegen eines solchen Zielkonfliktes.Der Möglichkeit von solchen Zielkonflikten kann man im Rahmen der Fusionskontrolle damit begegnen, dass die Eingriffsschwelle relativ hoch angesetzt wird. Sowohl die deutsche als auch die europäische Fusionskontrolle setzen erst bei der Marktbeherrschungsschwelle an, womit die Gefahr eines Zielkonfliktes zwischen der Aufrechterhaltung kompetitiver Marktstrukturen und Effizienzsteigerungen im weiteren Sinn sehr gering ist. Sollte dennoch ein solcher Zielkonflikt auftreten, kann dieser im Rahmen der sog. Ministerfusion nach § 42 I 2 GWB aufgefangen werden.Literatur: Neumann, M., Wettbewerbspolitik: Geschichte, Theorie und Praxis, Wiesbaden 2000; Schmidt, I., Wettbewerbspolitik und Kartellrecht: Eine Einführung, 7. Aufl., Stuttgart u.a. 2001; Schmidt, I./ Binder, St., Wettbewerbspolitik im internationalen Vergleich, Heidelberg 1996. Literatursuche zu "Wettbewerbspolitik" auf www.gabler.de
Lexikon der Economics. 2013.